M8WORTE.COM

 
 

Herrn

Bundesinnenminister

Dr. Hans-Peter Friedrich

Alt-Moabit 101D

10559 Berlin


26.9.2012

Betr.: Vermisst-Terrorismus-Kampagne "kriminalisiert" echte Vermissten-Suche per Plakat und schadet den jährlich etwa 500.000 Angehörigen von Vermissten in Deutschland


Sehr geehrter Herr Bundesinnenminister Friedrich,

Ihre neue Vermisst-Terrorismus-Kampagne hat mich – zurückhaltend gesagt - sehr irritiert. Denn diese Werbemaßnahme "kriminalisiert" die echte Vermissten-Suche per Plakat. Etwa 500.000 Angehörige von rund 100.000 bei der Polizei jährlich registrierten Vermissten sind davon betroffen.

Durch ihre Plakataktion nehmen Sie den Angehörigen von Vermissten eines ihrer wenigen Kommunikationsmittel, die sie überhaupt bei der Suche nach den Verschwundenen haben. Denn Ihre Vermisst-Terrorismus-Kampagne stört die positive Signalwirkung der bisher überall in Deutschland jährlich von Tausenden von Angehörigen wie auch von Polizeibehörden eingesetzten Vermisst-Plakate und schafft eine große Irritation bei den Betrachtern. Denn diese werden sich in Zukunft fragen müssen, ob es sich bei der abgebildeten Person unter der Überschrift "Vermisst" um einen potentiellen Terroristen oder eine vermisste Person handelt, - also beispielsweise um eine Studentin, die aus Prüfungsangst ihren Familie verlassen, oder um einen Rentner, der sich aufgrund seiner Demenz-Erkrankung in der Stadt verirrt hat.

Mit Ihrer Werbemaßnahme, deren gut gemeinten Ziele ich erkenne, schaden Sie einem Personenkreis, dem der Staat ohnehin nur minimale Zuwendung zukommen lässt. Denn bei dem Verschwinden eines Menschen finden die betroffenen Angehörigen bei einem von einer Stunde zur anderen einsetzenden organisatorischem und psychischem Chaos in keiner Stadt- oder Gemeindeverwaltung Unterstützung. Die Arbeit wird alleine der Polizei überlassen, die aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer kritischen Personalstärke nur in Einzelfällen in der Lage ist den Betroffenen Hilfe anzubieten.

Seit knapp 20 Jahren – so lange befasse ich mich mit dem Thema vermisste Menschen in Büchern, TV-Dokumentationen und durch die ehrenamtliche Beratung von Betroffenen durch ein von mir betriebenes Vermisst-Beratungstelefon – fordere ich Unterstützung durch die Behörden ein. Die meisten Vermissten verlassen ihre Familien nicht aus Abenteuerlust oder Egoismus, sondern aufgrund einer persönlichen Notlage oder Krankheit.

Sinnvolle Hilfen wären zwei Maßnahmen:

1.

Eine nationale Vermisst-Internetplattform, betrieben etwa durch Bundesinnen- und Bundesfamilienministerium. Hier sollten umfangreiche Tipps für die Bewältigung von organisatorischen Anforderungen und Hinweise auf Selbsthilfe in psychischen Stresssituationen gegeben werden. Weiterhin könnten hier die Suchbilder und -plakate sowie Angaben zur Person etc. zentral eingespeist werden. Bislang ist es so, dass jedes Landeskriminalamt eigene Suchseiten im Internet veröffentlicht und darüber hinaus Angehörige ihre Suche im Internet selbst betreiben.

2.

In jeder deutschen Stadt- und Gemeindeverwaltung sollte es einen Mitarbeiter geben, der sich in Fragen der Lösung von Problemen im Zusammenhang mit Vermisstfällen auskennt. Keine deutsche Sozialbehörde bietet den Angehörigen von Vermissten auch nur den Hinweis (etwa in der Leistungsbeschreibung der Sozialbehörde), dass man für ihre Sorgen zuständig ist. Anfragen wegen Unterstützung werden vielmehr schon von den Telefonzentralen an die Polizei weiter verwiesen.


So viel zur Betreuung. Ihre Vermisst-Terrorismus-Kampagne nutzt zu meinem großen Bedauern auf primitive und spektakuläre Weise die Popularität von echten Vermisst-Plakaten aus. Diese Plakate sind – neben dem Internet - die einzige Möglichkeit für die Angehörigen von Vermissten vor Ort aktiv in der Öffentlichkeit nach ihren vermissten Verwandten zu suchen.

Statt nun also den Betroffenen zu helfen, vermischen Sie als Bundesinnenminister mit der Veröffentlichung der Vermisst-Terrorismus-Kampagne zwei wichtige Themenbereiche: Terrorismus und Vermisst-Problematik.

Ich bitte Sie nachdrücklich auf die Veröffentlichung dieser Kampagne zu verzichten und bitte Sie darüber hinaus, sich für eine Unterstützung der  Angehörigen von Vermissten etwa im Sinne meiner oben genannten Forderungen zu verwenden. Zur weiteren Information über die Situation der Angehörigen von Vermissten lege ich diesem Schreiben mein Sachbuch "Vermisst – und manchmal Mord" aus dem "Verlag Deutsche Polizeiliteratur" bei. Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, wissen Sie, wie verlassen sich die Betroffenen Angehörigen tatsächlich vorkommen.


Hochachtungsvoll

Peter Jamin

Journalist/Schriftsteller (u.a. Sachbuch "Vermisst – und manchmal Mord / Über Menschen, die verschwinden, und jene, die sie suchen" sowie Vermisst-Beratungstelefon 0211-38738494)

Offener Brief an den Bundesinnenminister

M8WORTE-Bücher im Droste-Verlag - mehr